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DAUN, 02.01.2023 - 09:30 Uhr
Kultur

Zwischen Sport und Mord – Interview mit Rudi Cerne

‚Aktenzeichen XY‘ ist eine Instanz im deutschen Fernsehen – und Rudi Cerne ist seit 20 Jahren ihr Gesicht.

Herr Cerne, bevor es Sie vor die Kamera zog waren Sie Profisportler. Was waren Ihre Highlights? In diesen 20 Jahren Eiskunstlauf bin ich viele Küren gelaufen, wobei einige auch misslungen sind. Zwei Küren sind mir aber nachhaltig in Erinnerung geblieben: Die erste Kür war bei den Europameisterschaften 1983. Ich bin damals zwar nur Siebter geworden, aber die Halle stand Kopf - in der Dortmunder Westfalenhalle waren ca. 11.000 Zuschauer. Diese Kür war mir sehr gut gelungen. Ich war als Erster der letzten Gruppe - mit den besten sechs Läufern - aufs Eis gegangen und hab dann gleich für die entsprechende Stimmung gesorgt (lacht). Ich hab dann so etwas wie einen Trend ausgelöst mit einer Kür zu klassischer Musik, denn damals liefen alle zu ganz moderner Disco-Pop-Musik. Ein Jahr später bin ich dann wieder mit einer Kür zu Verdi’s Melodien gelaufen und wurde dann mit der Silbermedaille bei den Europameisterschaften in Budapest belohnt - mein größter internationaler Erfolg.

Heute kennt Sie das Publikum vor allem durch die Sendung ‚Aktenzeichen XY‘ und durch die Moderation von Livesport im ZDF. Wie sehen Sie sich selber? Was sind Ihre Prioritäten? Fifty-fifty. Ich hab mal aus Flachs bei einer Pressekonferenz gesagt: ich pendle zwischen Sport und Mord. Es sind die Gegensätze, die für mich so reizvoll sind. Sport ist die schönste Nebensache der Welt, kann auch eine Ablenkung sein, gerade in bewegenden Zeiten, wie im Augenblick. Und auf der anderen Seite „Aktenzeichen XY“, eine Sendung, die an Relevanz nicht zu überbieten ist. Relevanz ist ein Zauberwort in den Medien, über etwas zu berichten, das Bedeutung hat.  Den Bildschirm zur Verbrechensbekämpfung zu nutzen - ganz im Sinne des Erfinders Eduard Zimmermann.

Bei Aktenzeichen XY soll das Publikum dabei helfen offene Kriminalfälle zu lösen. Wie sind Sie als Moderator zur Sendung gekommen? Der Zufall hat hier wie so oft eine entscheidende Rolle gespielt! Am Anfang hat mir ein Reporter vom WDR ein Mikrofon unter die Nase gehalten und mich spontan aufgefordert: „Kommentieren Sie doch grad mal die Kür von Richard Zander.“ Das lief so gut, dass er meinte: „Sie sollten sich überlegen, ob sie das nicht beruflich machen wollen.“ Und dann hatte ich schon gleich Feuer gefangen.

Wie stark sind Sie selber in die Sendung involviert? Den Hauptteil der Vorbereitung übernimmt die Redaktion und die normale Herangehensweise ist die, dass die Kriminalpolizei an uns he-rantritt wenn die herkömmlichen Ermittlungsmethoden ausgeschöpft wurden, und deswegen versucht man es über die  Öffentlichkeitsfahndung, ein sehr probates Mittel. Da ist Aktenzeichen XY  der erste Ansprechpartner. Die Fälle stehen also fest und werden umgesetzt: Es wird ein Drehbuch erstellt, eine Besetzung vorgenommen und ein Regisseur setz alles ins Bild. Dann besprechen wir im Team die Moderation und die Studiointerviews, Wort für Wort.

Was ist das Wichtigste bei der Vorbereitung? Mir ist noch in Erinnerung was mir Eduard Zimmermann mit auf den Weg gegeben hat: „Der Zuschauer muss auf Anhieb alles verstehen. Er darf nicht den Faden verlieren.“ Deshalb müssen wir jedes Wort auf die Goldwaage legen damit die Zuschauer dran bleiben. Man kann nicht wie bei einer Zeitung sagen: „Den Abschnitt hab ich nicht verstanden, ich fang noch mal von vorne an.“ Das ist eine sehr intensive Arbeit und die dauert halt auch ein paar Stunden.

Und jetzt kommt für Sie noch mehr dazu. Am 15.10. startete das Podcast-Format „Akteneichen XY - unvergessene Verbrechen“ mit Ihnen und der Journalistin Conny Neumeyer. Hatten Sie vorher schon Erfahrungen mit Podcasts als Zuhörer und als Moderator? Nein, hatte ich noch nicht. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, vor eineinhalb Jahren wusste ich noch gar nicht was ein Podcast ist. Ich hatte natürlich schon davon gehört, aber bis dahin noch nicht realisiert wie relevant das Medium ist, gerade weil die Zuhörer jederzeit den Podcast anhören können. Beim ZDF in der Mediathek ist das ebenfalls möglich Podcasts zu hören bzw. Sendungen zu sehen. Also wenn die Sendung Aktenzeichen XY vorbei ist, dann bleibt sie ja noch für einen gewissen Zeitraum in der Mediathek abrufbar. So hatte ich von Podcasts gehört, aber noch nie selbst Erfahrungen damit gemacht.

Und wie ging es dann los? Da diese True crime Podcasts ja sehr im Kommen sind und sehr gerne gehört werden, haben wir uns gedacht: Aktenzeichen ist die Mutter aller True-Crime-Sendungen. Warum machen wir das nicht? Und dann ging das ganz flott. Durch Aktenzeichen XY sind über die Jahre viele Kontakte zu Ermittlern und Ermittlerinnen entstanden. Und sie kommen gerne ins Studio, um ausführlich über ihre Fälle zu reden. Das ist enorm spannend und packend.

Waren Sie an der Entwicklung des Podcastformats beteiligt? Ja. Ich hab das ja angestoßen! Das hat man sehr wohlwollend aufgenommen, da es ein modernes Medienmittel ist und es zum ZDF und zu unserer Sendung passt. Wir haben schon große Erfolge feiern können und sind in den Hitlisten ganz weit vorne. Quasi von 0 auf 100. Wir arbeiten im Team, müssen Termine finden, einen Fall recherchieren, um ihn dann zu präsentieren.

Welche Gäste laden Sie zum Podcast ein? Angehörige von Betroffenen oder auch Opfer von Betrugsmaschen. Und natürlich die Ermittlerinnen und Ermittler.

Ich kann mir gut vorstellen, wie emotional Sendung und Podcast sind. Wie werden Sie damit fertig, wenn Sie Einblicke erhalten in menschliche Abgründe? Nach der Sendung Aktenzeichen XY und nach dem Podcast, der sehr bewegend ist, hängt man die Fälle nicht wie einen Anzug in den Schrank. Das geht schon unter die Haut, aber, so eine 90 Minuten Live-Sendung ist schon auch anstrengend. Und man produziert auch da, wie bei einer Kür auf dem Eis, Adrenalin. Ich halte es wie die Ermittler:innen - ich lass die Fälle nicht zu nah an mich herankommen, sonst kommt man wirklich nicht in den Schlaf. Ich hab da kein besonderes Rezept, wie „da muss ich dreimal um die Häuser ziehen und dann werd ich ruhiger“, sondern nach der Sendung ist vor der Sendung.

Gibt es einen Fall, der Ihnen heute noch an die Nieren geht? Ja, der Fall Kirsten Sahling - eine junge, 39-jährige Psychologin der Charité in Berlin, die mit ihrem Mann zum Frühsport losgezogen ist, um im Spandauer Forst zu joggen. Der Mann ist schon mal losgelaufen, sie hat sich noch mit Dehnungsübungen aufgehalten und wird genau in diesem Augenblick Opfer eines Messerstechers. Ein Mann auf dem Fahrrad hält an, sticht mehrfach auf die Frau ein und flieht vom Tatort. Passanten eilen Kirsten Sahling zur Hilfe und das letzte, was sie noch sagen kann, bevor sie das Bewusstsein verliert: „Sagen Sie meinem Mann, dass ich ihn liebe.“ Sie stirbt kurz darauf im Krankenhaus. Der Fall ist nie geklärt worden. Bezeichnenderweise, das hat mir die zuständige LKA-Ermittlerin gesagt, bekommt  sie immer zum Jahrestag dieser Tat und auch um die Weihnachtszeit herum, noch Anrufe, Hinweise zu dieser Tat, die aber keine neuen Erkenntnisse brachten. Aber Menschen, die immer noch mal ihr Bedauern zum Ausdruck bringen wollen und Menschen, die fragen: „Hat sich denn in diesem Fall immer noch nichts getan?“ Ein Fall, der mich bewegt hat.

Hat Sie die Arbeit mit echten Verbrechen vorsichtiger werden lassen? Was machen Sie heute anders als früher? Ich bin von Haus aus ein vorsichtiger Mensch aber nicht ängstlich.  Angst kann lähmend sein, das weiß ich noch aus meiner Zeit als Leistungssportler auf dem Eis. Wenn du Angst hast vor dem Sturz beim dreifachen Axel, dann ist der Sturz schon vorprogrammiert. Da muss man schon ein gewisses Selbstbewusstsein an den Tag legen. Und so geht es mir im Leben genau so: Ich bin vorsichtig und bin durch diese Sendung in meiner Vorsicht bestätigt worden.

Was machen Sie speziell zur Prävention? Ich folge dem Rat, den mir ein Kriminalbeamter gegeben hat, der mich darauf aufmerksam machte, dass es eine Abteilung für Kriminalprävention gibt und damit auch Experten, also Kommisar:Innen, die sich mit Einbruch beschäftigen, in manchen Bundesländern ist das kostenfrei. Also z.B. stellt er dann fest: „Prima, dass Sie da hinten eine Leiter an der Garage stehen haben. Da hat es der Einbrecher leichter, um auf das Garagendach zu klettern, um bei Ihnen ins Fenster einzusteigen.“ Wir haben damals, als wir nach Hessen gezogen waren, ein paar Sicherheitsvorkehrungen getroffen: Einbruch-sichere Fenster und Rolläden, die man nicht hochschieben kann. Ein einfaches Mittel, das er mir damals auch mit auf den Weg gegeben hat: „Lassen Sie die Hecke in Ihrem Garten nicht zu hoch wachsen. Wenn die Hecke 2,50 m hoch ist, dann schützen Sie sich zwar vor den Blicken des Nachbarn, er kann allerdings auch nicht sehen, wenn ein Einbrecher bei Ihnen einsteigt.“ Ganz wichtig ist also die aufmerksame Nachbarschaft, Bewegungsmelder und eine ganz tolle Alarmanlage ist ein Hund, der anschlägt.

Welche Fälle haben Sie positiv bewegt, weil sie durch Aktenzeichen XY gelöst wurden? Der Fall Lolita Brieger, den erwähne ich oft. Das war 1982: Die Frau, 18-jährig, schwanger, war damals verschwunden. Die Polizei hatte gleich befürchtet, dass es zu einem Verbrechen gekommen war. Nichtsdestotrotz fehlte eine Leiche, deswegen konnte man auch nicht sagen, ob sich um Mord oder Totschlag handelte. Der Fall war nie zu den Akten gelegt worden. Und so kam er zu Aktenzeichen XY. Der zuständige Ermittler und der Staatsanwalt traten im Studio auf. Es meldete sich die Bekannte eines Mitwissers und gab entsprechende Hinweise. In einer erneuten Vernehmung packte der Mitwisser aus und führte die Ermittler zum Fundort der Leiche.  Sie war in einem Plastiksack  verschnürt, auf einer Mülldeponie abgelegt worden. Allerdings konnten die Mordmerkmale nie nachgewiesen werden und deswegen ist der Fall verjährt. Es handelte sich damals um Totschlag. Bewegend war danach, dass uns die Mutter des Opfers mitteilen ließ, dass sie jetzt ein Grab habe, an dem sie trauern und abschließen könne.

Wie erfahren Sie davon, dass ein Fall gelöst wird? Wir zeigen ja regelmäßig in unserer Rubrik „Gelöst“, was sich in den Fällen getan hat. Es ist auch schon vorgekommen, dass sich ein Kommissar meldet mit den Worten: Herr Cerne, wir haben den Fall klären können. „Aktenzeichen“ konnte helfen.“

 

Ein Interview von Gabrielle Klawitter

 


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